Das Plastik Alibi.

Plastiktüten – ihre bloße Existenz ist das irdische Tor zur Hölle.
Was wir tun müssen, um unsere Umwelt zu retten: Plastiktüten aus dem Supermarkt verbannen.
Weltfriede und ein ewiges gutes Gewissen seien mit uns.
So seltsam, wie sich das anhört, ist es auch: Unser aller Plastiktüten Alibi.

Unser Planet ist verseucht. Insbesondere unsere Meere ertrinken im Plastikmüll.
Diese Erfahrung muss leider jeder machen, der einmal längere Zeit an einem Strand verbracht hat. Egal wo auf der Erde, unser Zivilisationsmüll nimmt immer mehr zu. Eine nicht mehr weg zu schweigende Realität.
Nicht zuletzt Greenpeace warnt vor übermäßigen Müll in unseren Weltmeeren.
Dabei gelangt der Plastikmüll, unachtsam weggeworfen, selbst über aufgenommene Plastikteile in das Nahrungssystem. Partikel sind mittlerweile nahezu überall nachweisbar.
Diese, selbst im arktischen Eis nachgewiesenen, Mikroplastik Partikel stammen zum Beispiel aus Kosmetikpflegeprodukten oder aus banalem Duschgel. ( https://www.zeit.de/angebote/forschungswelten-nachhaltigkeit/suche-nach-dem-mikroplastik/mikroplastik )
Dabei besteht der Müll in unseren Weltmeeren nicht nur aus Plastik. Auch alte Fangnetze, Autoreifen oder Kühlschränke lassen sich in unseren Meeren finden. Alles das, was schnell verschwinden soll, ist ein Fall für den Ozean.
Nun fangen immer mehr Einzelhändler damit an dieses Problem anzugehen, indem sie Plastiktüten, die unseren Supermarkteinkauf nach Hause bringen sollen, aus dem Sortiment nehmen oder deutlich teurer machen.
Auch die EU hat bereits eine Eindämmung der Plastiktüten verabschiedet.
( https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2015-04/plastiktuetenverbot-eu-parlament-richtlinie )

 

Und nun ist es soweit – ab Juni diesen Jahres werden in der gesamten EU etwa 60% aller Plastiktragetaschen etwas kosten. Vorerst 240 Händler werden sich an dieser Richtlinie orientieren und Tragetaschen für künftig rund 0,20 € anbieten ( https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/selbstverpflichtung-plastiktueten-werden-kostenpflichtig-jetzt-wirklich-1.2967141 ) .

Dieser Vorstoß wird von vielen Menschen begrüßt. Vorwiegend von jenen, die meinen sich dadurch aktiv für Umweltschutz einsetzen zu können.
Aber die immense Plastikverschmutzung ist nicht nur ein Problem für unsere Umwelt. Der Müll hat negative Auswirkungen auf Artenschutz und Tierschutzbemühen, da eine Vielzahl von Meeresbewohnern oder -vögeln an Plastik verenden.
Die Politik sagt nun, sie würde das Problem begreifen und angehen. Große Teile der Bevölkerung begrüßen den Vorstoß dazu. Das eigentliche Problem dabei ist jedoch ihre Ineffektivität.

Ich habe vor ein paar Tagen einen Kommentar dazu auf der Facebook Seite der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Der Kommentar lautete:

Ich habe gerade eine Reiswaffel aus einer Plasiktüte geholt. Beim Einkauf kaufe ich Gurken, die in Plastik eingeschweißt wurden, Paprika in Plastikbeutel und Cornflakes in Plastiktüten in einer Altpapier Packung.
Das Verbot der Trageplastiktüte ist doch nur eine Form der neuen Alibi Politik, um zu demonstrieren, dass man etwas gegen das überdimensional große Plastikmüll Aufkommen macht, obgleich es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.
Die meisten Leute benutzen die gekaufte Plastiktüte ja noch für andere Zwecke, meist als Abfallbeutel, der wiederum ansonsten oft als dünne, windempfindliche (!) Müllsäcke auf Rolle gekauft wird.
Ein solches Verbot wird nichts verändern, vielleicht sogar schlimmer machen, da der Müllsack auf einer Rolle die gekauften Tragetaschen ersetzen könnte.
Wir sind überall umgeben von Plastikmüll in seinen sinnlosesten Formen. Die Mehrzweckplastiktüte, mit der der Plastikeinkauf nach Hause getragen wird ist da das kleinste Problem.
Es wäre nötig eine ganze Industrie in die Verantwortung zu nehmen und sich auf abbaubare Lösungen in allen Produkten zu einigen. (EDIT: Ich schrieb vorher “recyclebare” – ist natürlich Blödsinn, das ist Plastik ja sowieso)
Für mich ist ein solches Gesetz daher eher eine Niederlage, da anhand vergangener Handlungen zu befürchten ist, dass das Thema durch diese Alibilösung wieder erst einmal in Vergessenheit gerät, da man angibt, etwas getan zu haben.
In Wirklichkeit ändert es überhaupt nichts.

Es mag eigentlich unpopulär zu sein, sich gegen ein gut gemeintes Gesetz, dass normalerweise positiv für den Umweltschutz sein sollte, auszusprechen, aber in diesem Fall war der Kommentar nicht nur der Topkommentar, sondern erhielt eine breite Zustimmung…
sd

Woran liegt das?

Es liegt an einer Form der Politik, die ich gemeinhin als “Alibi-Politik” bezeichne. Die politische Klasse erkennt meist auf breiter Ebene ein Problem, dass die Bürger beschäftigt und dann nicht mehr wegzureden ist.
Da es sich in solchen Fällen jedoch meistens um sehr diverse Problematiken handelt, die sehr kompliziert sind und Auswirkungen auf eine Vielzahl von Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben und deren Ursache nicht durch Gesetze lösbar ist, ist eine Lösung nicht in absehbarer Zeit möglich.
Dafür werden kleine Schritte gemacht, um die allgemeine Unmut über ein bestimmtes Thema zu besänftigen und für Diskussionen mit Bürgern und anderen Parteien das Argument zu haben, dass man etwas getan hätte. Gerne wird dann auch darüber gesprochen, dass andere Parteien, die zuvor Macht besaßen, keinerlei Lösungen angeboten haben.
Es wird mit einem Tropfen auf einem heißen Stein versucht ein Feuer zu bekämpfen.

Leider begnügen sich die meisten Bürger erst einmal mit dieser Lösung und loben sie als einen ersten Schritt, wobei weitere meistens sehr verspätet oder nie folgen. Dieser “erste Schritt” ist jedoch nur das Alibi, um ein Handeln zu suggerieren, welches eigentlich keinerlei Wirkung hat.

Genau so ist es im Fall der Plastiktragetasche. Nun reden wir nicht einmal mehr von einem Verbot, sondern einem minimalen Preisanstieg auf 0,20 € . Dabei wurden Tragetaschen für 0,15 € bei einschlägigen Discountern sowieso schon immer verkauft, um den Einkauf nach Hause zu befördern.
Es ist in diesem Fall also womöglich noch weniger als der berühmte Tropfen.
Ich möchte Ihnen jedoch erklären, warum man sich diesen Vorstoß hätte sparen können.
Nicht, weil es nicht richtig wäre, Plastikmüll einzudämmen.

Was machen Sie mit ihrem Hausmüll?

Im besten Falle werfen Sie ihn in einen Behälter, ganz ohne Tüte, um auf etwas Plastikmüll zu verzichten. Oder Sie kaufen, wie die meisten Menschen, eine der zahlreichen dünnen Mülltüten auf einer Rolle, um ihren Müll in den bekannten Tüten zu entsorgen. Das ist meist sehr dünnes und sehr flugfähiges Plastik, dass durch eine Windböe schnell auf das Meer hinaus fliegen könnte… Sie verstehen, worauf ich hinaus möchte?
Würden die schweren, meist mehrmals verwandbaren Tüten aus den Kaufhäusern verschwinden, wird der Großteil der Menschen noch mehr dünne Plastiktüten auf einer Rolle kaufen. Die Folge mag zwar eine gesamtökologische Abnahme der Masse sein, aber ein Zuwachs von deutlich windgefährdeteren Plastik. Ist das eine Lösung?

Aus dieser Perspektive betrachtet wäre ein gänzliches Plastiktaschenverbot sogar kontraproduktiv und würde unserem großen Umweltproblem womöglich mehr schaden, als nutzen.
Die Belanglosigkeit eines Plastiktaschenverbotes wird einem aber erst richtig klar, wenn man sich in seiner Küche umschaut. Sie kommen um Plastik nicht herum. Mittlerweile ist alles in irgend einer Form mit Plastikverpackungen verschlossen. Es macht keinen Unterschied, ob Sie in einem Bio Laden einkaufen, oder in einem teureren Supermarkt; Plastik gibt es überall.
Plastik, das überhaupt keinen Nutzen für den Konsumenten hat, ist Plastik, das in der Umwelt landet.
Tragetaschen sind zumindest zweckgebunden und erfüllen beim Verbraucher eine Funktion, sind daher nicht so schnell in die Umwelt geworfen, wie ein kurzer Snack, der nervigerweise komplett verschweißt ist und dessen Verpackung schnell entfernt werden soll.
Das ist die Form von Plastikverpackungen, die überall auf der Welt für eine immense Verschmutzung sorgt. Dünne Folien, eingeschweißtes Gemüse & Obst, Süßwaren, Backwaren – nahezu alles, was wir in einem Supermarkt irgendwo auf der Welt kaufen, hat irgendwo Plastik, dass schnell auf den Müll landen soll, damit man an den Inhalt gelangt. Dadurch landet es immer eher in unserer Umwelt, anstatt in einem recyclebaren Müll.
Auch Gebrauchsgegenstände, Bücher etc. – wir sind gänzlich vom Plastik umzingelt.

 

Und nicht nur das:

In den letzten Jahren war ich zweimal in den Tropen. In Mauritius und Französisch-Guayana konnte ich sehen, dass der Umgang mit Müll in Ländern aus den ärmeren Breitengraden deutlich unbewusster ist. Ein Umweltbewusstsein hinsichtlich Mülltrennung ist dort quasi nicht vorhanden, weil die Menschen hier ganz andereProbleme haben.
Dort landet auch gleichzeitig der meiste Plastikmüll im Meer, weil es schlichtweg kaum Möglichkeiten gibt unterwegs etwas in geregelten Bahnen wegzuwerfen. Selbst, wenn wir in Deutschland, in den USA oder anderen Industrienationen also keinen Plastikmüll mehr in die Umwelt befördern würden – das Problem wäre nicht ansatzweise gelöst.  Tropische Breitengrade sind zum Teil völlig zugemüllt.
Anekdote: Die einzige Verletzung, die ich in Französisch-Guayana davon getragen habe, war ein kleiner Schnitt an einer Glasscherbe, die überall verteilt an einem sehr fischreichen Gewässer waren.

Es ist also nicht davon auszugehen, dass eine Regelung der EU, die sich auf ein Plastiktütenverbot einigen würde, irgendetwas verbessern würde.

Aber was tun?

Die Lösung dieses Problems ist schwierung und bedarf tiefgreifender industrieller und gesellschaftlicher Bestimmungen. Es braucht ein radikales Umdenken, welches damit beginnen muss, dass sämtliches Plastik aus Verpackungsmaterial verbannt wird. Ersetzt werden müssen all diese Verpackungen durch Biokunststoffe, die innerhalb von einigen Monaten vollständig abgebaut werden. ( https://de.wikipedia.org/wiki/Biokunststoff#Biologischer_Abbau )
Dafür ist die komplette Industrie verantwortlich. Es sind somit wirklich grundlegende Veränderungen notwendig, um nachhaltig etwas bewirken zu können.

Alle Tragebehältnisse aus Plastik müssen dann ebenfalls durch einen solchen Biokunststoff ersetzt werden oder dürfen gar nicht mehr angeboten werden. Die Strafen für illegale Entsorgungen müssen drakonisch erhöht werden und das Umweltbewusstsein in anderen Staaten muss von uns gefördert und vorgelebt werden.

Nanoplastik Partikel müssen verboten werden oder abbaubar sein.

All diese Vorschläge sind bei der jetzigen politischen Auffassung der Problematik schwierig durchzusetzen. Vor allem, weil sie unangenehm für eine gigantische Branche wären – es beträfe nahezu jede Produktion.
Dennoch ist es der einzig nachhaltige Weg, der wirklch etwas bewegen könnte, ohne unser gesamten System lahm zu legen.

Darum glauben Sie nicht an die Märr der Tragetasche – protestieren Sie dagegen.

 

Beitragsbild:
By SatishPande (Own work) [GFDL or CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

Ein Kommentar zu: “Das Plastik Alibi.

  1. David 9. Mai 2016 0:36

    Der Irrsinn an der ganzen Sache ist doch, dass es eigentlich wenig Aufwand wäre, wenn man fordern würde, dass die Säcke aus kompostierbarem Kunststoff bestehen, was auch mit Kunststoff, den man aus Erdöl gewinnt möglich ist. Dann könnte man sich die Gebühr sparen (oder auch nicht) und würde einen Schritt in die richtige Richtung tun. Dieser Schritt ist darum wichtig, um zu zeigen, dass es machbar ist und den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es braucht aber kontinuierlichen Druck, sonst tut sich danach nichts mehr. Und solange nicht konsequent das Ziel verfolgt wird nach und nach möglichst alle Kunststoffverpackungen durch abbaubare Verpackungen zu ersetzen, bringt das letztlich nicht viel. Zumindest in der Schweiz kann ich jedoch einen leicht positiven Trend beobachten, dass es zaghafte Versuche der Supermärkte gibt, in einigen Bereichen die Verpackungen zu reduzieren und statt reinen Kunststoffverpackungen kommt vermehrt Karton, der mit dünnem Kunststoff beschichtet ist, zum Einsatz. Gerade beim Biogemüse dauert jedoch der Irrsinn fort, dass man das Zeug besonders gut in überdimensionierte Kunststoffverpackungen steckt. Die ganze Entwicklung ist so oder so viel zu zaghaft, daher ist es wichtig und gut, wenn das Thema nicht nur öffentlich angesprochen wird und die Probleme benannt werden, sondern eben auch (wie hier geschehen) Lösungen aufgezeigt werden.

    Das mit dem fehlenden Umweltbewusstsein kann ich von meinen Erfahrungen aus Chile diesen Frühling bestätigen. Was mir auch zu denken gab, dass Müll oft auch in der Natur, meist unweit der menschlichen Siedlungen hinter den nächstbesten Erdwall in die Natur gekippt wird. Auch fand ich immer wieder extrem, wie verschwenderisch nicht nur in Chile, sondern auch schon in Spanien mit Plastiksäcken umgegangen wird. Wenn man sich nicht mit Händen und Füssen wehrt, ist der eigene Einkauf schnell in 3-5 Plastiktüten verpackt, obwohl man eigentlich selbst einen Rucksack oder eine Stofftasche oder so dabei hätte und sie gar nicht bräuchte.

    Ganz nebenbei noch bemerkt, es gibt mittlerweile Tupperware, die aus gepressten Reishülsen bestehen. Dadurch sind die Dinger kompostierbar, auch wenn es einige Monate dauert, so ist es doch einen Unterschied zum kaum verrottenden Kunststoff. Es tut sich da viel an Innovativem, das je nach dem vielleicht früher oder später auch bei der Verpackungsindustrie Anwendung finden könnte.

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